Interview in Jazz Podium , GERMANY::

Isländish-amerikanische Impressionen
Sunna Gunnlaugs
OCTOBER, 2003





..Wenn ich Musik schreibe, habe ich kein vorbereitetes Konzept, es sei denn, was seiten ist, ich strebe von vornherein ein ganz bestimmtes an. Meine beste Musik schreibe ich dann, wenn es sich ganz natürlich entwickelt, es einfach Passiert. Wenn wir es spielen, ist die Melodie stark in den Harmonien. Die Harmonien sind offen für Entwicklungen und Uberraschungen. Und ich mag es auch, wenn meine Partner dabei ihren Weg gehen"

 

In den beiden letzten Jahren erschien auf den europäischen Bühnen gelegentlich eine junge amerikanische Band unter der Leitung der aus Island stammenden jungen Pianistin Sunna Gunnlaugs. 1993 war sie in die USA gegangen, um dort am William Patterson College zu studieren, wo zum Beispiel der Bassist Rufus Reid unterrichtete. Mit ihren beiden Studienkollegen, dem Schlagzeuger Scott McLemore und dem Bassisten Dan Fabricatore brachte sie gegen Ende des Studiums in 1997 ihre erste CD ("Far Far Away", SDM Records) heraus. Seitdem hat sie mehrere größere Tourneen in den USA, in Kanada, in Island und im Frühjahr dieses Jahres die zweite nach Europa unternommen. Um die Schwierigkeiten einer erfolgreichen Vermarktung zu überwinden, hat sie immer alles selbst in die Hand genommen bis hin zur Gründung des eigenen Labels Sunny Sky. 1998 begann sie, für das isländische Radio an einer Jazz-Sendereihe zu arbeiten.
     Die amerikanische Kritik begleitet ihre Musik sehr freundlich. So schrieb zum Beispiel "Time Out New York": "This pianist, from Iceland, is beginning to make some noise in the downtown scene".
     Inzwischen hat sie drei weitere CDs herausgebracht, im Jahr 2000"Mindful" (Sunny Sky 720) mit Tony Malaby, sax, Drew Gress, b, Scott McLemore, dr, im Jahr 2002 "Fagra Veröld" (Sunny Sky 721), eine sehr poetische Aufnahme mit Texten von isländischen Lyrikern, interpretiert von der Sängerin Kristjana Stefänsdöttir und begleitet von dem Altsaxophonisten Sigurdur Flosason, Drew Gress und Scott McLemore. Die Aufnahme wurde zur isländischen CD des Jahres 2002 gewählt. Im Frühjahr 2003 erschien "Live In Europe" (Sunny Sky 722) mit Ohad Thalmor, sax, Matt Pavolka, b, und Scott McLemore, dr.
     Sunna Gunnlaugs Kompositionen wie auch ihr Klavierspiel zeichnen sich durch einen besonderen, emotional geprägten Stil aus. Vor allem ihre Präsentation im Rahmen ihrer neuerlichen Europa-Tournee in Luxemburg, Österreich, Deutschland und England zeigen eine deutliche Weiterentwicklung zu einer sehr ausdrucksvollen, spannungsreichen und einfühlsamen Konzeption.
     Vor dem Konzert im Kölner Loft bestand Gelegenheit, mit ihr ein Gespräch über ihre Musik, über Island und die Arbeitsbedingungen in den USA zu führen.

JP: Wodurch unterscheidet sich die neue CD von der letzten, die du zu deiner Europatournee 2002 mitgebracht hattest?
SG: Es ist eine Live-CD. Studioaufnahmen sind meist konzentrierter, mit kürzeren Solos. Wir haben sie auf der letztjährigen Europa-Tournee aufgenommen, schon mit dem Ziel, die Musik nach Möglichkeit auch zu veröffentlichen. Als wir dann das Material hörten, waren wir sehr erfreut darüber, haben es gemastert und rechtzeitig zur neuen Tour herausgebracht. Die Kompositionen sind teilweise identisch mit denen der vorigen CD "Mindful", aber wir spielen sie offener, vielleicht auch auf eine mehr Abenteuer und Unvorhergesehenes versprechende Art. Die allererste CD dagegen, "Far Far Away", bedeutete so etwas wie die ersten Gehversuche. Es war ein Trio mit Dan Fabricatore und Scott McLemore. Wir waren alle auf derselben Universität. Wir spielte einige Standards in einem "straight ahead"-Stil. Auch hatte ich einige Kompositionen geschrieben. Wir hatten die CD auch aufgenommen, um auf uns aufmerksam zu machen, bessere Jobs zu bekommen. Ich glaube, dass sich mein Spiel seitdem sehr verändert hat.

JP: Kannst du etwas über dein heutiges Konzept, deine Vision von Musik, erzählen?
SG: Wenn ich Musik schreibe, habe ich kein vorbereitetes Konzept, es sei denn, was seiten ist, ich strebe von vornherein ein ganz bestimmtes an. Meine beste Musik schreibe ich dann, wenn es sich ganz natürlich entwickelt, es einfach passiert. Wenn wir es spielen, ist die Melodie stark in den Harmonien. Die Harmonien sind offen für Entwicklungen und Überraschungen. Und ich mag es auch, wenn meine Partner dabei ihren Weg gehen.

JP: Gibt es irgendwelche Einflüsse auf deine Musik, deine Entwicklung? Auch wenn dies nicht direkt zu spüren ist, hast du aber sicherlich viele andere Musiker bisher gehört. So hast du sicher eine ganz besondere Klangvorstellung?
SG: Ich bevorzuge melodische Musik wie zum Beispiel die von Kenny Wheeler. Ich mag auch die schöne und emotionale Musik von Vince Mendoza. Auch sie ist offen gestaltet und lässt aalllleess zu. Und natürlich mag ich auch immer noch die Beatles und bei den Pianisten Bobo Stenson und John Taylor. All die verschiedenen Dinge kommen zusammen und bilden mein Verständnis von Musik, von Klang.

JP: Du hast auf deinen Aufnahmen bekannte Leute wie Drew Gress oder Tony Malaby Wenn es dann aber auf Tournee geht, haben die oft eigene Projekte. Ich finde es sehr mutig, trotz der mit all diesen Projekten verbundenen Probleme nicht aufzugeben. Hast du denn Pläne, mit weiteren Musikern zu spielen?
SG: Meine Musiker wähle ich danach aus, ob sie gute Musiker und auch für eine solche Tournee gute Partner sind. Für die Lyrik-Aufnahme ("Fagra Veröld") wusste ich genau, dass ich diese Musiker dabei haben wollte. Sonst kümmere ich mich zunächst darum, die Musik zu schreiben und dann suche ich mir die passenden Musiker dazu.

JP: Wie kommt ein Mensch, der in Island geboren ist, in Berührung mit Jazz?
SG: Nun, die Lebensqualität in Island ist sehr hoch. So haben die Kinder viele Möglichkeiten zu lernen. Die meisten lernen ein Instrument spielen. Und auf den Musikschulen lernt man verschiedene Dinge kennen. Ich fing als Kind an, Orgel zu spielen und spielte alles Mögliche nur so zum Spaß und hatte nicht die Absicht eine professionelle Musikerin zu werden. Irgendwann habe ich aufgehört, zu spielen, es aber bald vermisst und kam dann in Kontakt zu anderen Dingen als der üblichen klassischen Musik, eben zum Jazz. Es ist oft so, dass junge Leute nicht unbedingt klassische Musik studieren wollen, aber Freude an Musik haben und so an Jazz geraten. Im Radio ist etwas Jazz in einern öffentlichen Sender zu hören. Seit einigen Jahren wird regelmäßig das Festival in Reykjavik durchgeführt. Davor wurden aber auch Konzerte zum Beispiel mit Gerry Mulligan im Rahmen eines Kunst-Festivals veranstaltet. Auch Oscar Peterson kam, aber da war ich noch zu jung. Einige Clubs bieten einmal in der Woche Jazz und eine Jazz-Society organisiert alles Mögliche, zum Beispiel jede Woche ein Konzert.

JP: Und es gibt eine Musiker-Szene?
SG: Ja, da sind eine Reihe Jazzmusiker in Island, gute Saxophonisten oder Schlagzeuger, aber nur wenige Bassisten und auch wenige Pianisten. Das Problem ist, dass es für die Mangelinstrumente kaum Lehrer gibt.

JP: Und dann hast du für dich entschieden, Musikerin zu werden und gingst in die USA, um zu studieren?
SG: Als Kind interessierte ich mich für bildende Kunst und wollte Graphikerin werden. Aber dann kam die Musik.Ursprünglich hatte ich daran gedacht, nach zwei oder drei Jahren Studium wieder nach Island zurück zu gehen. Und ich habe auch nicht anfangs daran gedacht, all diese Dinge zu tun, wie CDs heraus zu geben, in anderen Ländern zu spielen und was sonst so passiert. Als ich mit dem College in Island fertig war, wussie ich nicht so richtig, was ich tun sollte. So habe ich ein paar Jahre gewartet, um dann in die USA zu gehen.

JP: Willst du auf Dauer in den USA bleiben?
SG: Nein, ich glaube nicht. Ich bin jetzt ungefähr 10 Jahre dort und werde allmählich müde, in den USA zu leben. Vieles im amerikanischen Leben, in Politik und Kultur gefällt mir nicht.

JP: Kannst du denn heute vom Jazz leben?
SG: Von kreativer Musik kann ich nicht leben. Aber wenn du Musik auf Hochzeiten oder in Restaurants spielst, dann geht es. In New York ist es besonders schwer, weil da so viele Musiker leben. Du musst viel Energie einsetzen, um ein Engagement zu bekommen.

JP: Sind die Tourneen in Europa eigentlich anders als die in den USA?
SG: 0 ja, es beginnt mit dem Reisen. In den USA fahren wir mit einem Bus und das ist meist sehr ermüdend. Hier in Europa mit dem Zug zu reisen, ist dagegen sehr entspannend. Die Clubbetreiber und die Leute hier sind sehr freundlich. Überall bringt man uns in einem anständigen Hotel unter und lädt uns zum Essen ein. In den USA ist das ganz anders, da gibt es Clubs, in denen man nicht mal ein Bier bekommt. Es geht immer um das Geld, das ist die amerikanische Kultur. Wir erfahren in den USA auch nicht viel über die Entwicklungen in der eigenen Szene. Davon hören wir oft erst, wenn wir hier in Europa die Magazine lesen oder die neuen CDs hören. Die amerikanischen Magazine schreiben immer über dieselben Leute, dieselbe Musik, dieselben alten Leute, die immer dieselbe Musik spielen, amerikanischen "straight-ahead-Jazz". Und viele Clubs trauen sich auch nicht richtig, andere Bands zu präsentieren. Daher versuche ich, auch mehr in Kunstzentren oder Museen zu spielen, mehr Konzerte als Gigs in Jazzclubs.

JP: Wären in Island die Bedingungen besser, zum Beispiel von da aus auch in anderen europäischen Ländern zu spielen?
SG: Ja vielleicht. Auftritte werden besser bezahlt, du bekommst dort auch mehr für dein Geld.

JP: Wie war die Tournee?
SG: Sehr schön. Wir hatten großartige Voranstaltungsorte, die auch gut besucht waren, schöne Klaviere. In den USA ist es zum Beispiel sehr schwer, einen Spielort mit einem guten Klavier zu finden. Und wenn es eines gibt, dann ist es schlecht gestimmt!

– Hans-Jürgen von Osterhausen.